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Helfen Atropin-Augentropfen gegen Kurzsichtigkeit bei Kindern?

Kind mit Brille und Pusteblume

 

Ergänzung vom 20. Juli 2023:

Neue Studien in den USA, Europa und Australien können keine Wirksamkeit nachweisen

Neue Studien in den USA, Europa und Australien kamen zu dem Ergebnis, das Atropintropfen keine Wirksamkeit bei der Behandlung von Kurzsichtigkeit bei Kindern haben. Wieso die asiatischen Studien zu einem anderen Ergebnis kommen (siehe Artikel unten), ist bislang noch unklar.

Es ist jedoch anzunehmen, dass auch weiterhin nur Brillen (und ab 18 Jahren dann Augenlasern) wirklich gegen Kurzsichtigkeit bei Kindern helfen. Heilbar ist sie nach wie vor leider nicht.

Zum Artikel auf Ärzteblatt.de

 

Asiatische Studie zur Wirkung von Atropin-Augentropfen bei Kindern

Der Wirkstoff Atropin ist in der Augenheilkunde bereits mehr als 100 Jahre bekannt. Atropin wird im Falle einer beginnenden Kurzsichtigkeit bei Kindern in Form von Augentropfen eingesetzt, um das Wachstum des Augapfels und somit das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit aufzuhalten.

In bisheriger Konzentration verursachte der Wirkstoff allerdings zu viele Nebenwirkungen, die Atropin-Therapie wurde aus dem Grund bisher nur in wenigen deutschen Klinken angeboten. Asiatische Studien belegen mittlerweile jedoch eine Wirksamkeit des Atropins bei Kindern ohne Nebenwirkungen, wenn eine sehr niedrige Dosierung verwendet wird. In Deutschland startet jetzt eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Studie, die sogenannte AIM-Studie, innerhalb der ergänzend zu den bestehenden Studien die optimale Dosierungsmenge sowie die Wirkung auf kurzsichtige Kinder ohne asiatische genetische Marker erforscht wird.

Kurzsichtigkeit bei Kindern: Verlauf und Entwicklung

Kurzsichtigkeit, auch Myopie genannt, ist in erster Linie erblich bedingt und entsteht durch ein übermäßiges Wachstum des Auges im Kindes- und Jugendalter, in der Regel während der Grundschulzeit. Es gibt außerdem Faktoren, welche die Kurzsichtigkeit bei Kindern und auch noch im Erwachsenenalter verschlechtern können. In Europa ist derzeit knapp die Hälfte der Bevölkerung kurzsichtig, die Tendenz ist steigend.

Kurzsichtigkeit ist zudem ein Hauptrisikofaktor für spätere gravierende degenerative Augenerkrankungen. Das Risiko erhöht sich, je früher die Kurzsichtigkeit einsetzt und je schneller und weiter sie fortschreitet.

Was hilft gegen Kurzsichtigkeit bei Kindern?

In den letzten Jahren wurden im asiatischen Raum (vorrangig in China und Singapur) viele Therapie-Ansätze im Rahmen klinischer Studien neu untersucht und bewertet. Neben mindestens zwei Stunden Tageslicht pro Tag und der Vermeidung von einem zu geringen Lese- und Nahsichtabstand, zeigten spezielle Brillen- und Kontaktlinsen eine Verminderung der Entwicklung einer Kurzsichtigkeit. Am wirksamsten erwies sich allerdings die Therapie mit Atropin-Augentropfen.

Wie wirkt Atropin?

Atropin wurde früher aus der schwarzen Tollkirsche (Belladonna) gewonnen, heute wird der Wirkstoff synthetisch hergestellt. Erste schriftliche Erwähnungen stammen aus dem Jahr 1852 im Codex medicamentarius Hamburgensis, einem historischen Arzneimittelverzeichnis. Der Wirkstoff wurde damals vorrangig für die Behandlung von Asthma eingesetzt, da er die Bronchien entspannt und erweitert. Aufgrund der Nebenwirkungen wurde diese Therapie später jedoch wieder aufgegeben. Erstmals in Verbindung mit Kurzsichtigkeit wird Atropin 1874 erwähnt.

Heute wird Atropin überwiegend in der Notfallmedizin und Augenmedizin eingesetzt. In der Notfallmedizin macht man sich besonders die Herzfrequenz steigernde Wirkung zunutze. In der Augenmedizin findet hingegen die pupillenerweiternde Wirkung des Atropins Verwendung. Atropin-Augentropfen bremsen zudem das übermäßige Wachstum des Augapfels und können damit das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit bei Kindern verlangsamen oder sogar stoppen.

Atropin: Nebenwirkungen oder nicht?

In der bisher verabreichten Dosierung traten bei einer Atropin-Therapie mit Augentropfen bei Kindern Nebenwirkungen auf, die nach einer Anwendung rund eine Woche anhielten, weshalb Atropin in der Vergangenheit kaum verordnet wurde. Zu den Nebenwirkungen gehörten dabei vorrangig:

  • Blendungsempfindlichkeit aufgrund der erweiterten Pupillen
  • Nahsichtstörung aufgrund einer gestörten Schärfenanpassung
  • Hautirritationen
  • Mundtrockenheit
  • beschleunigter Herzschlag

In einer geringen Konzentration, in der die Atropin-Augentropfen gegen Kurzsichtigkeit mittlerweile bei Kindern dosiert werden, sollen nach Ergebnissen der groß angelegten und aussagekräftigen Studien aus u. a. Hongkong (z.B. The Chinese University of Hong Kong, 2020) und Singapur (z.B. Singapore Eye Research Institute, 2015) weitestgehend keine Nebenwirkungen mehr auftreten.

Atropin-Therapie: AIM Studie zur Myopie-Reduktion

Bisher wurden Atropin-Augentropfen in der Augenheilkunde in einer Konzentration von 0,5 oder 1,0 Prozent verabreicht. Die sogenannte ATOM-Studie (Atropine in the treatment of myopia) aus dem Jahr 2014 aus Singapur bewies, dass man die Konzentration von Atropin so weit mindern kann, dass die Nebenwirkungen ausbleiben aber die Wirksamkeit weiter besteht. In der Studie wurden die Konzentrationen 0,01, 0,1 und 0,5 Prozent an asiatischen Grundschulkindern und einer Placebo-Gruppe getestet.

Nach einer zweijährigen Behandlungsdauer und einer einjährigen Nachbeobachtungszeit erzielten die Tropfen mit einer Konzentration von 0,01 Prozent die besten Ergebnisse. Das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit konnte um 50 Prozent, teilweise sogar um mehr als 75 Prozent reduziert werden. Nach Absetzen der Atropin-Augentropfen ließ die Wirkung zwar etwas nach, aber im Vergleich zur Placebo-Gruppe waren die Ergebnisse weiterhin signifikant besser.

Kind mit Brille beim Sport

Atropin-Augentropfen im weltenweiten Einsatz

Seit der Veröffentlichung der Studienergebnisse hat sich die niedrig dosierte Atropin-Therapie mit Augentropfen gegen ein Fortschreiten von Kurzsichtigkeit bei Kindern weltweit sehr schnell durchgesetzt und wird auch in Deutschland seit wenigen Jahren eingesetzt. Neben der erwähnten ATOM-Studie aus Singapur gibt es inzwischen weitere aussagekräftige asiatische Studien, die den Effekt von niedrig dosiertem Atropin bestätigen.

Aktuelle AIM-Studie des Universitätsklinikums Freiburg

Da sich die bisherigen Studien ausschließlich auf asiatische Kinder konzentriert haben, startet nun auch in Deutschland eine neue Studie des Universitätsklinikums Freiburg. In der sogenannten AIM-Studie, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, wird ergänzend zu den bisherigen Studien untersucht, ob sich die Wirkung sowie die möglichen Nebenwirkungen des Atropins in geringer Konzentration bei Kindern ohne asiatische oder afrikanische genetische Marker anders verhalten, als es laut der bisherigen Studien bei Kindern mit asiatischen genetischen Markern der Fall ist.

In der Studie wird also untersucht, ob die Gabe von niedrig dosiertem Atropin-Augentropfen auch das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Mädchen und Jungen zwischen 8 und 12 Jahren ohne asiatische oder afrikanische genetische Marker nebenwirkungsfrei oder nebenwirkungsarm verlang-samen oder sogar aufhalten kann. Das Ergebnis soll also zeigen, ob genetische Marker einen Einfluss auf die Wirkung haben. Des Weiteren wird untersucht, ob eine Dosierung mit 0,02 Prozent oder 0,01 Prozent bessere Ergebnisse liefert.

Die AIM-Studie wird insgesamt rund drei Jahre andauern. Die teilnehmenden Kinder haben eine Kurzsichtigkeit von -1 bis -6 Dioptrien bei einer jährlichen Verschlechterung von mindestens 0,5 Dioptrien. „Eine solche Studie ist dringend notwendig, um den Nutzen des zunehmenden Einsatzes von niedrig dosiertem Atropin bei Kindern zu belegen oder widerlegen und klinische Leitlinien zu entwickeln“, sagt Professor Dr. Wolf Lagrèze, Studienleiter, Leiter klinische Prüfung und leitender Arzt der Sektion Neuroophthalmologie, Kinderophthalmologie und Schielbehandlung an der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg.

Kurzsichtigkeit bei Kindern behandeln: Atropin und Augenlaserbehandlung

Wer im Erwachsenenalter nicht auf Brillen oder Kontaktlinsen angewiesen sein möchte, kann eine Kurzsichtigkeit heutzutage gut behandeln lassen. Es gibt hierbei verschiedene Behandlungsmethoden, die zur dauerhaften Korrektur dieser Fehlsichtigkeit geeignet sind (z.B. Augenlaserbehandlung oder Linsenoperation). Viele Betroffene entscheiden sich für eine Augenlaserbehandlung, um ihre Kurzsichtigkeit dauerhaft zu korrigieren und ihre volle Sehkraft wiederherzustellen. Welche Behandlungsmethode hierbei für einen Patienten / eine Patientin und die jeweilige individuelle Beschaffenheit der Augen in Frage kommt, sollte im Vorfeld unbedingt in einer professionellen Voruntersuchung von erfahrenen Augenchirurgen ermittelt werden.

Die Laserbehandlung einer Kurzsichtigkeit ist ab einem Alter von 18 Jahren angeraten, wenn alle Wachstumsveränderungen der Augen abgeschlossen sind. Ideal ist ein Alter zwischen 25 und 45 Jahren, bei unverändertem Dioptrienwert für mindestens ein Jahr, besser zwei Jahren.

Da eine Kurzsichtigkeit, wie bereits erwähnt, in den meisten Fällen erblich bedingt ist und daher oft bereits im Kindesalter auftritt, kann eine Behandlung mit Atropin-Augentropfen in den jungen Jahren durchaus sinnvoll sein. Denn eine Behandlung einer erst einsetzenden Kurzsichtigkeit bei Kindern mit Atropin-Tropfen erfüllt mehr als einen Nutzen. Zum einen wird verhindert, dass eine extreme Kurzsicht später degenerative Augenerkrankungen nach sich zieht, zum anderen kann so verhindert werden, dass die Kurzsichtigkeit immer weiter fortschreitet und im Erwachsenenalter einen Dioptrienwert von -10 erreicht, was den absoluten Maximalwert darstellt, bei dem eine Augenlaserbehandlung möglich ist. Je niedriger der Dioptrienwert ist, also je schwächer ausgeprägt die Kurzsichtigkeit ist, desto weniger Hornhaut muss abgetragen werden und desto höher ist die Erfolgsaussicht und Möglichkeit auf ein anschließend komplett sehhilfenfreies Sehen.

Atropin-Tropfen gegen Myopie: noch keine Kassenleistung

Derzeit ist eine niedrig dosierte Atropin-Therapie von Kindern mit Kurzsichtigkeit noch keine Kassenleistung, da noch keine Arzneimittelzulassung besteht und muss daher selbst gezahlt werden. Die Kosten sollen sich hierbei auf circa 200 bis 500 Euro pro Jahr belaufen. Nach Beendigung der AIM-Studie in rund drei Jahren und einem positiven Ergebnis könnte sich das allerdings ändern.

Sie sind von Kurzsichtigkeit betroffen und sind an einer dauerhaften Heilung interessiert? Nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Unser medizinisches Fachpersonal berät Sie gerne.

Quellen:
Universitätsklinikum Freiburg, Deutsche Forschungsgemeinschaft gepris.dfg.de, Ophthalmologische Nachrichten biermann-medizin.de,
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft dog.org,
Deutsches Ärzteblatt 2016, 113(19),
Science.ORF.at,
Gelbe-Liste.de
Pharmindex,

Three-Year Clinical Trial of Low-concentration Atropine for Myopia Progression (LAMP) Study: Continued Versus Washout. Phase 3 Report: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34627809/,

Five-Year Clinical Trial on Atropine for the Treatment of Myopia 2: Myopia Control with Atropine 0.01% Eyedrops: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26271839/

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